Für Stadt- und Raumplaner klingt es wie ein alter Hut, aber erst jetzt scheint es in der deutschen und internationalen Realität angekommen zu sein: Urbanisierung ist eine DER großen internationalen Herausforderungen. Das Phänomen ist nicht neu – es hält seit Jahrzehnten weltweit ungebrochen an, die Urbanisierung erreicht nun jedoch eine nie dagewesene Dynamik. Eine magische Grenze ist Anfang des neuen Jahrtausends gefallen: Erstmals in der Geschichte der Menschheit lebte mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. Laut UN-Prognosen werden im Jahr 2050 70 % der Menschheit in Städten leben. Gut 90 % dieses Wachstums findet in afrikanischen und asiatischen Entwicklungs- und Schwellenländern statt, insbesondere in kleinen und mittleren Städten und nicht in den oft rezitierten Megastädten (UN 2014 http://esa.un.org/unpd/wup/ Highlights/WUP2014-Highlights.pdf).

Das enorme Bevölkerungswachstum bedeutet für die meisten Städte wirtschaftlichen Aufbruch. Städte sind Motoren für Wachstum, Entwicklung und Innovation. Der Löwenanteil der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung erfolgt in den städtischen Ballungsräumen. Es besteht ein positiver Zusammenhang zwischen Urbanisierung und Pro-Kopf-Einkommen, sowie Armutsreduzierung. Das Städtewachstum erfolgt in Entwicklungs- und Schwellenländern jedoch meist unkontrolliert und mit hoher Geschwindigkeit. Dabei entstehen u. a. dicht bebaute informelle Siedlungen. Für 2013 geht die Schätzung von UN Habitat von 863 Millionen Menschen aus, die in Slums leben. (http://unhabitat.org/wp-content/uploads/2014/07/ WHD-2014-Background-Paper.pdf). Slums und informelle Siedlungen bieten jedoch auch Lebens- und Wohnraum für die ärmere Bevölkerung und schaffen Einkommensquellen. In den meisten Fällen ist das Leben in einer informellen Siedlung in der Stadt noch immer besser als auf dem Land, hinsichtlich der Versorgung mit Wasser, Strom, Gesundheit und Telekommunikation.

Urbanisierung bedeutet aber nicht nur physische Veränderung, sondern auch Veränderung von sozialen Gefügen und politischen Kräfteverhältnissen. In den Städten entscheiden sich weltweit auch Fragen der sozialen Entwicklung, der Regierbarkeit, der Sicherheit, der Nachhaltigkeit und der politischen Teilhabe. Der steigende Bedarf führt zu Problemen, genügend adäquaten Wohnraum mit Infrastruktur und den Basisdienstleistungen zu schaffen und zugleich die soziale Ungleichheit und räumliche Segregation zu reduzieren. Hinzu kommen die neuen Herausforderungen des Klimawandels. Städte und Stadtregionen sind für über 70 % der weltweiten CO2-Emmissionen verantwortlich. Sie verbrauchen laut UNEP zwei Drittel der natürlichen Ressourcen (UNEP 2011: http://www.unep.org/ greeneconomy/Portals/88/documents/ger/GER_12_Cities. pdf). Sie müssen sich aber gleichzeitig auch an die Auswirkungen des Klimawandels anpassen. Wie können diesen Herausforderungen mit begrenzten Kapazitäten und finanziellen Ressourcen begegnet werden? Wie können der rapide wachsenden Bevölkerung adäquater Wohnraum, Infrastruktur und öffentliche Dienstleistungen unter Einhaltung der Menschenrechte und der nachhaltigen Entwicklung bereitgestellt werden?

Die globalen Nachhaltigkeitsziele/Sustainable Development Goals (SDGs), die im September 2015 im Rahmen des UN Gipfels verabschiedet wurden, thematisieren bereits einen Teil dieser Fragen. In den Unterzielen und Indikatoren ist die urbane Dimension als eigenständige Zieldefinition prominent verankert: „Städte inklusiv, sicher, resilient und nachhhaltig gestalten“. Die Umsetzung der SDGs auf der lokalen Ebene ist Kern des im Oktober 2016 in Quito (Ecuador) stattfindenden 3. Weltgipfels der UN zum Siedlungswesen und nachhaltiger Stadtentwicklung (Habitat III). Die Konferenz wird eine nachhaltige urbane Entwicklung auf die globale Ebene setzen und eine gemeinsam entwickelte universell gültige neue Städteagenda (New Urban Agenda) vorlegen. Es gilt in erster Linie, die weitreichende globale Urbanisierung als Chance zu begreifen.

Vor diesem Hintergrund setzt dieses Themenheft an und zeigt beispielhaft Problemlagen und Lösungsansätze in Städten in Lateinamerika, Asien, Afrika sowie Südosteuropa auf. Michael Kolocek beginnt das Heft mit einer kritischen Auseinandersetzung des Menschenrechts auf Wohnen und wie dieses in den letzten Dekaden unterschiedlich diskutiert und bewertet wurde. Für ihn ist klar, dass es „nicht die eine globale Strategie zur Gewährleitung des Menschenrechts auf Wohnen gibt – und auch nicht geben kann“. Kathrin Golda-Pongratz schließt sich mit einer Auseinandersetzung mit städtischer Identität in schnell wachsenden Städten Lateinamerikas auseinander und zeigt über Beispiele auf, wie diese “Quartiersaufwertungsprozesse und eine nachhaltige Konsolidierung“ unterstützen können. Gerhard Kienast untersucht mit Mandelas Versprechen „Land und Wohnungen für alle“ die südafrikanische Wohnungspolitik, die sich ambitionierte Ziele gesetzt hatte und vollzieht die Schwierigkeiten in der Umsetzung.

Antje Ilberg untersucht am Beispiel Ruanda dessen neue Wohnpolitik, die ansprechende Ansätze aufweist aber auch Hindernisse in der Förderpolitik beinhaltet. Raffael Beier und Mariana Vilmondes schließen sich mit einem Vergleich der drei Ländern Brasilien, Marokko und Südafrika an, die alle in ihrer Verfassung das Recht auf Wohnen aufnahmen, in der konkreten Umsetzung jedoch scheiterten. Ariana Fürst und Christoph Woiwode zeigen anhand der indischen Stadt Chennai die Schwierigkeiten und Konfliktlinien auf, wenn ein technisch geplanter Hochwasserschutz die Umsiedlung ärmerer Bevölkerungsgruppen bedingt und Anpassungsstrategien der Bewohner selbst nicht berücksichtigt werden. Birgit Haupter, Peter Heiland, Jakob Doetsch beschäftigen sich in den Städten Südosteuropas in Tirana, Podgorica und Belgrad mit der Frage, wie die Folgen des Klimawandels wie z.B. Hitzewellen und Überschwemmungen „in allen städtischen Entscheidungen ausreichend berücksichtigt“ werden. Für sie ist „Klimaanpassung eine Querschnittsaufgabe“.

Die folgenden beiden Artikel widmen sich dem wichtigen Thema Transport und Mobilität. Dirk Heinrichs und Aline Delatte zeigen anhand der Städte Sao Paolo und Medellín konkrete Strategien und Lösungsansätze auf, die allerdings nur mit dem „politische Willen und lokalen Engagement der Entscheidungsträger“ umsetzbar sind, aber „fundamentale Einschränkungen der Bewohner informeller Siedlungen hinsichtlich des verfügbaren Mobilitätsbudgets und der Bezahlbarkeit von Verkehrsangeboten nicht beseitigten können.“ Malve Jacobson diskutiert anhand des Bus Rapid Transport System in Dar es Salaam Chancen und Risiken des Projektes. Sie fragt „ob BRT Systeme in wachsenden Städten des Globalen Südens auch für arme Bevölkerungsschichten zu mehr Mobilität führen können“ und folgert, dass sie nur ein Baustein von vielen sein können.

Alle Beiträge zeigen Verknüpfungen zu den Nachhaltigkeitszielen und deren Umsetzung auf sowie Ideen, wie eine New Urban Agenda in Zukunft aussehen kann. Die Themen Wohnraumversorgung, Anpassung an den Klimawandel und Mobilität sind auch für Städte des Globalen Nordens von Bedeutung und ermöglichen so einen Austausch von Ideen.

Although it may sound old hat for urban and spatial planners, it seems that the fact that urbanisation is one of THE great international challenges is only now being accepted as reality, both in Germany and internationally. The phenomenon is not new – it has been continuing unabated for decades all over the world, but it has now achieved an unprecedented dynamism. A magical threshold was surpassed at the beginning of the new millennium, when for the first time in the history of humankind more than half of the world‘s inhabitants lived in cities. The UN forecasts that by 2050 70% of humankind will live in cities. A good 90% of this growth is occurring in African and Asian developing and emerging countries, in particular in small and medium-sized urban areas rather than in the often citied megacities (UN 2014 http://esa.un.org/unpd/wup/Highlights/ WUP2014-Highlights.pdf).

For most cities the enormous growth in population involves an economic upswing. Cities are the engines of growth, development and innovation. The lion‘s share of added value in the economy is created in the urban agglomerations. There is a positive correlation between urbanisation and income per capita, as well as between urbanisation and poverty reduction. However, in developing and emerging countries urban growth is usually uncontrolled and occurs at high speed. This involves the development of densely built informal settlements. UN Habitat estimates suggest that in 2013 there were 863 million people living in slums (http://unhabitat.org/wpcontent/ uploads/2014/07/WHD-2014-Background-Paper.pdf). Yet slums and informal settlements also provide living and dwelling space for poor population groups and create sources of income. In terms of supplies of water, electricity, health services and telecommunications, life in an informal urban settlement is still usually better than life in the countryside.

Urbanisation involves not only physical changes but also changes in social structures and the political balance of power. Throughout the world, cities are the places where questions of social development, governability, security, sustainability and political participation are decided. The increase in demand leads to problems in providing enough adequate housing with infrastructure and basic services, while also ensuring that social inequalities and spatial segregation are reduced. In addition there are the new challenges caused by climate change. Cities and urban regions are responsible for over 70% of worldwide CO2 emissions. According to the UNEP, they consume two-thirds of natural resources (UNEP 2011: http://www.unep.org/greeneconomy/Portals/88/documents/ ger/GER_12_Cities.pdf). At the same time, however, they still have to adapt to the effects of climate change. How can these challenges be tackled with limited capacities and financial resources? How can the rapidly growing population be provided with adequate housing, infrastructure and public services while respecting human rights and complying with the requirements of sustainable development?

The global Sustainable Development Goals (SDGs), which were passed in the course of the UN summit of September 2015, discussed some part of these issues. The urban dimension is given prominence in the targets and indicators as an independently defined objective: „Make cities inclusive, safe, resilient and sustainable“. The implementation of the SDGs on the local scale is at the heart of the Third United Nations Conference on Housing and Sustainable Urban Development (Habitat III) to be held in October 2016 in Quito (Ecuador). The conference will place sustainable urban development on the global scale and present a jointly developed and universally valid New Urban Agenda. The priority is to understand far-reaching global urbanisation as an opportunity, and to implement this understanding in practice.

This special issue has been compiled against this background and discusses, by way of example, problems and solution approaches in cities of Latin America, Asia, Africa and South-East Europe. Michael Kolocek opens the issue with a critical analysis of the human right to housing and how this has been variously discussed and evaluated in recent decades. It is clear to Kolocek that there neither is nor can be “the one global strategy to guarantee the human right to housing”. Kathrin Golda-Pongratz then examines urban identity in fast-growing cities in Latin America and uses case studies to illustrate how this can support “neighbourhood upgrading processes and sustainable consolidation”. Gerhard Kienast investigates South African housing policy, which with Mandela’s promise of “land and housing for all” set itself ambitious goals that are proving difficult to implement.

Antje Ilberg investigates the new housing policy of Ruanda, which is characterised by appealing approaches but is experiencing hindrances in funding policies. Raffael Beier and Mariana Vilmondes follow with a comparison of the three countries Brazil, Morocco and South Africa, all of which included the right to housing in their constitutions but are failing when it comes to the concrete implementation of that right. Ariana Fürst and Christoph Woiwode use the example of the Indian city of Chennai to demonstrate the difficulties and conflicts that arise when a technically planned flooding protection scheme requires the resettlement of poorer population groups and the adaptation strategies of the inhabitants themselves are not considered. Birgit Haupter, Peter Heiland and Jakob Doetsch are concerned with how the consequences of climate change, such as heat waves and flooding, are “sufficiently considered in all urban decisions” in the South-East European cities of Tirana, Podgorica and Belgrade. They see climate adaptation as a “cross-sectoral task”.

The next two articles are dedicated to the important topics of transport and mobility. Dirk Heinrichs and Aline Delatte use the cities of Sao Paolo and Medellín to present concrete strategies and solution approaches, which can only be implemented with the “political will and local engagement of the decision makers” but which “cannot eradicate the fundamental restrictions experienced by residents of informal settlements in terms of the available mobility budget and the affordability of transport provision”. Malve Jakobson discusses the opportunities and risks of the Bus Rapid Transport System in Dar es Salaam. She asked “whether in the growing cities of the Global South BRT systems can lead to increased mobility also for poor sections of the population” and concludes that they can only be one element among many.

All the papers demonstrate links to the Sustainable Development Goals and their implementation, and explore ideas about possibilities for a New Urban Agenda of the future. The topics of housing provision, adaptation to climate change and mobility are also of significance for the cities of the Global North and thus allow an exchange of ideas.

Daphne Frank, Wolfgang Scholz

Table of contents

  • 3. Editorial
  • 4. Facheditorial / Editorial Daphne Frank, Wolfgang Scholz
  • 6. Facheditorial Englisch / Editorial Daphne Frank, Wolfgang Scholz
  • 10. Das Menschenrecht auf Wohnen / The Human Right to Housing Michael Kolocek
  • 16. Neue städtische Identitäten der Selbstbaustadt / New Urban Identities in the self-help City Kathrin Golda-Pongratz
  • 24. Mandelas Versprechen / Mandelas Promise Gerhard Kienast
  • 32. Umsetzung einer integrativen Wohnpolitik / Implementation of an Integrative Housing Policy Antje Ilberg
  • 40. Die Dominanz des Quantitativen / The Dominance of the Quantitative Raffael Beier, Mariana A. Vilmondes Alves
  • 46. Anpassung an Überschwemmungen in Chennai / Adaptation to Flooding in Chennai Ariana Fürst, Christoph Woiwode
  • 54. Die klimaangepasste Stadt in Schwellenländern / Climate Adaptation in Cities in Emerging Countries Birgit Haupter, Peter Heiland, Jakob Doetsch
  • 60. Urbanisierung und städtische Mobilität / Urbanisation and Urban Mobility Dirk Heinrichs, Aline Delatte
  • 66. Schnellbusse auf der Überholspur / Bus Rapid Transportsystem on the Fast Track Malve Jacobsen
  • 74. Integration als konzeptioneller Baustein und Widerspruch der nachhaltigen Raumplanung / Integration as Conceptual Component and Contradiction of a Sustainable Planning Constance Carr, Evan McDonough, Rainer Telaar
  • 80. Notizen / Notes
  • 81. Campus / Frankfurt University of Applied Sciences / BMBF-Fördermaßnahme Nachhaltiges Landmanagement / Perspektiven im Berufsfeld Stadt-, Regional- und Landesplanung
  • 86. Rezensionen / Reviews
  • 87. IfR Intern
  • 87. Kalender / Calendar